Großkunden der Fabrikausrüster nutzen wie Autobauer globale Einkaufsstrategien

Auch die Lieferflexibilität wird zum entschei­denden Wettbewerbsfaktor

Einkauf spielt bei Angebotsverhandlungen taktisch aufs Bluffen

Maschinenbauer ärgern sich über Sturheit und Äpfel-mit-Birnen-Vergleiche

 

Erste Marktstudie über Preis- und Auftragsverhandlungen für Maschinen und Ausrüstungsgüter 2011 / 2012 erschienen

Autoren: Professor Dr. Marco Schmäh (ESB Business School Reutlingen) und Dipl. Kfm. Hans-Andreas Fein (Unternehmensberatung Stuttgart)

 

Stuttgart – Großkonzerne dehnen zunehmend ihre Einkaufsmacht bei der Beschaffung von Ausrüstungsgütern wie Maschinen und Anlagen aus. Wie beim Einkauf von Kfz-Serienteilen holen  sie auch für Investitionsgüter Vergleichsangebote  aus aller Welt ein, um die Preise heimi­scher Anbieter zu drücken. Im Durchschnitt setzen die Multis damit Nachlässe von 9,9 Prozent durch; gefordert wurden gar 17,8 Prozent Rabatt. Viele Kunden wollen einfach „so billig wie möglich“ einkaufen, klagt so mancher Maschinebauer. Diesen neuen Trend belegt die Marktstudie 2011/12 zur Entwicklung der Preise im Maschinenbau von Professor Marco Schmäh,
ESB Business School (Reutlingen) und der Unternehmensberatung Hans-Andreas Fein. Schmäh: „Vor allem die Globalsierung mit der Öffnung Asiens bringt für Investitionsgüter eine völlig neue Angebotsintensität.“ Die Geschäfte würden generell härter werden. Jeder Lieferant sei mit Wettbewerbern aus aller Welt konfron­tiert, selbst ohne Auslandsaktivitäten.

Die vorlie­gende Untersuchung wertet 136 Interviews aus, die auf Preisverhandlungen zwischen deutschen Fabrikausrüstern und ihren Großkunden aus der Automobilindustrie (45 Prozent) wie aus anderen Branchen (55 Prozent) stammen. Die Gespräche finden ausschließlich hinter verschlos­senen Türen statt. Dabei wird deutlich, dass Einkäufer der Kfz-Industrie „ihre Knebelstrategie aus dem Autozuliefergeschäft mittler­weile auf die Beschaffung von Investitionsgütern übertragen“, unter­streicht Fein. Auch große Klienten außerhalb der Autoindustrie übernehmen „die Methoden von Zuckerbrot und Peitsche aus der Fahrzeugindustrie“. Die Konzerneinkäufer auf der kaufmän­ni­schen Seite lernten in Seminaren rasch dazu. Das wirke sich ebenso auf die Atmosphäre während der Auftragsverhandlungen aus, so Professor Schmäh. Etwa ein Viertel der Verkäufer bezeichnet das Klima der Verhandlungen als „angespannt“, „aggressiv“, „frostig“ oder „knochenhart“. Insgesamt empfinden fast zwei Drittel der Befragten den Verhandlungsdruck als hoch oder überdurchschnittlich.

 

Lieferanten sind bereits bei Auftragserteilung im Verzug

Allerdings sind die Verhältnisse noch nicht so schlimm wie für Autozulieferer. Die Mehrheit der Maschinen- und Anlagenbauer erleben die Verhandlungen in sachlich-konstruktiver bis zielfüh­render Weise. Und am Ende aller Prozeduren schneiden die Lieferanten von Investitionsgütern relativ gut ab: Immerhin erhalten 89 Prozent der Anbieter den Zuschlag. Ursache dafür sind laut Studie die kunden­spe­zi­fi­schen, nicht austausch­baren Produkte, deren ferti­gungs­tech­nische Präzision  sowie eine hohe Lieferflexibilität. Fein: „Zu fast 90 Prozent gibt es zu deutschen Anbietern derzeit keine wirkliche Alternative.“

Der Vorzug heimi­scher Hersteller liegt zudem darin, dass sie in der Lage sind, einen enormen Zeitdruck zu verkraften, betonen die Interviewten sehr oft. Das Timing ist heute ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Kürzere Fristen zählen bei den „beson­deren Anforderungen an die Lieferung“ zu den meisten Nennungen, wie die Erhebung deutlich zeigt. Grund für den wachsenden Zeitdruck ist häufig der Preispoker der Einkäufer, welche ihre poten­zi­ellen Lieferanten häufig aus takti­schen Gründen zappeln lassen. Das kostet wertvolle Zeit und verkürzt die Bearbeitung des Auftrags unwie­der­bringlich. Fein: „Die Maschine muss heute oft mit einer völlig unrea­lis­ti­schen Zeitvorgabe gebaut, instal­liert und hochge­fahren werden.“ Von einer normalen Durchlaufzeit von 9 Monaten für eine Sondermaschine beispiels­weise gehen manchmal zwei bis drei Monate verloren und der Maschinenbauer findet sich bei Auftragserteilung bereits in Verzug. „Insofern ist die hohe Kunst der Lieferfähigkeit oft wichtiger als der Preis“, resümiert Co-Autor Fein.

 

„Arroganz“, „Sturheit“ und „Ignoranz“ ärgern die Maschinenbauer am meisten

In der Praxis laufen die Auftragsverhandlungen auf zwei Ebenen ab: auf einer techni­schen und einer kaufmän­ni­schen. Wenn sich die Ingenieure und Techniker auf beiden Seiten im Prinzip über die Konfiguration und den Liefertermin der Maschine einig sind, beginnen die Einkäufer erst mit spitzem Bleistift zu kalku­lieren. Ihnen geht es vor allem um den Preis der Anlage und darum, bestimmte Systemanteile zu ändern oder wegzu­lassen. Professor Marco Schmäh: „Bei dieser Abstimmung spielen vor allem verhand­lungs­tak­tische Überlegungen mit Blick auf Rabatte und Preisvergleiche meist mit auslän­di­schen Konkurrenten eine Rolle“. Auf Einwände der Ausrüster, dass die Anlagen gar nicht vergleichbar seien, gehe die kaufmän­nische Seite kaum ein.

Diese „Arroganz“, „Sturheit“ und „Ignoranz“ der Einkäufer, so die Aussagen vieler Lieferanten, ärgert sie am meisten. Ebenso reagieren sie erbost, wenn in den (Preis)Verhandlungen „Tatsachen verdreht werden oder wenn taktisch „geblufft“ wird und dabei „Äpfel mit Birnen verglichen“ werden. Auch „weiche Argumente“ wie bessere Qualität oder mehr Service wischen die Großkunden in dieser heißen Phase vom Tisch.

Auch akzep­tieren die meisten Besteller nicht, wenn die Anlage trotz ihrer zeitrau­benden Psychospiele zu spät in Betrieb genommen wird. Sie drohen mit Konventionalstrafen. So bleibt den Maschinen- und Anlagenbauern keine andere Wahl, als Überstunden und Schichten am Wochenende zu fahren, um die Verspätung aufzu­holen. Oder, wie Hans-Andreas Fein beobachtet, „der Lieferant geht das Risiko ein und beginnt bereits vor Auftragserteilung mit dem Bau von Kernkomponenten und Engpassteilen, die er im Notfall später auch für einen anderen Auftrag verwenden kann“.

Die vorlie­gende Maschinenbaustudie lässt indes auch Potenziale erkennen, welche die Ausrüster bisher wenig ausschöpfen: den Vorteil ihrer techni­schen Alleinstellung. Das besondere Merkmal ihrer Maschinenbaukunst samt ihrer Zeitflexibilität sollten die Lieferanten gerade beim Preispoker stärker ausspielen, um dem Druck der Einkäufer gegen­halten zu können. „Vielleicht müssen die Maschinen- und Anlagenbauer künftig auch als Psychologen und Verhandlungsstrategen denn als reine Techniker auftreten können, um ihre starke Position gegenüber den Kaufleuten stärker in die Waagschale werfen zu können“, resüm­miert Professor Schmäh.

 

Redaktioneller Hinweis und Quellen:

Die 1. Marktstudie über Preis- und Auftragsverhandlungen im Maschinenbau 2011 / 2012 basiert auf 136 Interviews mit deutschen Herstellern von Maschinen und Ausrüstungsgütern. Das Ziel: Die Hintergründe aktueller Beschaffungsmethoden und Preisverhandlungs-Strategien Ihrer Großkunden  anhand der ausge­wer­teten Fallstudien zu unter­suchen. Grundlage der Erhebung von Oktober 2011 bis Januar 2012 war ein Katalog mit 15 Fragen, ausge­richtet auf Angebots- und Verhandlungsinhalte. Die Auswertungen aller Antworten zeigen generelle Trends auf.

Das Produktspektrum der Teilnehmer umfasst nahezu die gesamte Breite des Maschinen- und Anlagenbaus. Für die Auswertung wurde den Gesprächspartnern und teilneh­menden Firmen Anonymität zugesi­chert. Diese Untersuchung ist die einzige, welche Preisrunden, die durchweg hinter verschlos­senen Türen statt­finden, nach vielfäl­tigen Aspekten erhebt, anonym auswertet und analysiert.

Die Erhebung ist an die Schwesterstudie über Preissenkungs-Forderungen gegen Teilezulieferer in der Fahrzeugindustrie angelehnt, welche die Stuttgarter Fein-Unternehmensberatung seit 2002 in Kooperation mit den US-Autoanalysten IRN (Grand Rapids / Michigan) regel­mäßig durchführt.

 

Herausgeber:

Prof. Dr. Marco Schmäh,  ESB Business School, Lehrstuhl für Marketing und Vertriebsmanagement, Reutlingen University und die Dipl. Kfm. Hans-Andreas Fein Unternehmensberatung, Stuttgart

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